Der Videokünstler und Musiktheoretiker Johannes Quint bereichert als Gast der Künstlergruppe Acht die Ausstellung WEG. Die neueste Arbeit, die er zeigt, ist das Video „Heaven“ von 2022. Dazu hier ein Interview.
artigart: Wir sehen und hören in dem Video „Heaven“ eine Art Zeichentrickfilm mit vielen parallel verlaufenden Spuren: instrumentale Klänge, Schriften in drei Sprachen, gesprochener Text, Gesang, auf der visuellen Ebene verschiedene Bild- und Textfenster, geometrische Elemente, Fotos, gegenständliche Zeichnungen, Piktogramme: Ist das eine neue Form von Orchesterpartitur?
Johannes Quint: Die Einbeziehung von Video ist in der Szene der zeitgenössischen Musik momentan angesagt. Meist in der Kombination mit aufgeführter Instrumentalmusik. Ich habe mich aber von Partituren verabschiedet und bin – so sehe ich es – in einem Niemandsland gelandet, das keinem bekannten Genre zuzuordnen ist.
Es wird eine kleine Geschichte erzählt von dem schwarzen Strichmännchen, das offenbar auf der Leiter nach oben will in den blauen Himmel. Dabei ist das Tempo, mit dem langsamen Pendel visualisiert, eher verhalten. Dann, am Schluss, gibt es einen plötzlichen Bild- und Tempowechsel, es erscheint ein roter Kopf, dem die Haare zu Berge stehen, die Musik wird dramatisch und zwei Textbänder laufen so schnell ab, dass sie unlesbar sind. Sind wir statt in „Heaven“ nun in der Hölle angekommen?
Der Text, der am Ende durchläuft ist ein Ausschnitt aus der Jakobsleiter-Geschichte aus dem Alten Testament. Ich sehe es nicht als die Hölle, sondern als Eintritt des Erhabenen.
Das kletternde Männchen mit dem Ballonkopf und auch der rote Kopf ohne Körper sind zwar lesbare Zeichen, laden aber nicht zur Identifikation ein, wie eigentlich nichts in dem Video. Die V-Effekte sind zahlreich. Sollen die Betrachter auf Distanz gehalten werden?
Nein. Man kann meine Videos als Rätselaufgaben beschreiben, für die es keine Lösung gibt. Identifikation heisst, dass man auf dem Weg an die Hand genommen wird. Es geht aber auch nicht darum, distanziert von aussen wahrzunehmen. Stattdessen gilt es, die Verbindung der akustischen und optischen Objekte selber herzustellen. Die langsame Zeit stellt dazu einen Raum zur Verfügung.
In den üblichen Musikvideos sind Bild, Musik und Sprache redundant, verstärken sich gegenseitig und sorgen für ein eingängiges emotionales Erlebnis. In „Heaven“ wird Redundanz eher vermieden. Es ist nicht leicht, die Fragmente, die in Abständen auftauchen, in einen Sinnzusammenhang zu bringen. Hohe Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung sind gefragt, gerade weil die Beobachtungsspanne zeitlich gedehnt wird. Ist eine gewisse Überforderung des Rezipienten gewollt?
Es geht um eine je eigene Sinnstiftung. Dazu passt, dass die Videos, die durch Algorithmen generiert werden, immer wieder neue Fassungen ergeben. Ob dabei eine Überforderung entsteht? Ich denke, jeder wird das anders empfinden.
Das Ganze wie auch viele Details wirken am Ende ja auch sehr ironisch. Man könnte sich mit einem Amusement begnügen, es einfach „rauchend genießen“, wie Brecht es vorschlug. Haben wir es bei „Heaven“ mit einer Persiflage auf das Aufwärtsstreben, mit einer Demontage romantischer Formen zu tun?
Nein. Dekonstruktion in der Kunst ist für mich passé. Mich interessieren die ‚großen‘ Themen, die ich ernst nehme, zum Beispiel: Warum komme ich nicht in den Himmel? Vor den Fragen, die hier gestellt werden, sind wir aber klein, und unsere Darstellung wird immer windschief sein. Anders als die vielen bedeutungsschwangeren Celan- oder Hölderlin-Vertonungen versuche ich, mich zu diesem Windschiefen zu bekennen. Gerne auch witzig, aber keine Persiflage und erst recht keine Demontage.